Waisenkinder aus Kiew in Freiburg

Stadt nimmt 159 Kinder aus der ukrainischen Kriegsregion auf.  

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Flüchtlingskinder treffen in Freiburg ein. Foto: Michael Bamberger

. Es war eine dramatische, eine gefährliche Flucht über mehr als 2000 Kilometer: 159 Kinder im Alter von ein bis 17 Jahren aus einem Waisenhaus in der Nähe von Kiew und 30 Betreuer sind vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Am späten Sonntagvormittag kamen sie erschöpft, aber wohlbehalten in Freiburg an. Vor Vertretern der Stadt und der Evangelischen Stadtmission berichtete Heimleiter Roman Korniiko, dass ihre Busse während der 70-stündigen Odyssee unter Drohnenbeschuss geraten seien. "Ihr habt diesen Kindern das Leben gerettet."

Es sind emotionale Szenen, die sich an diesem strahlend-schönen Sonntagvormittag kurz vor halb zwölf im Freiburger Westen abspielen. Eben sind vier große Reisebusse mit Dresdner Kennzeichen auf den Schulhof des Wentzinger-Gymnasiums eingebogen. Als sich die Türen öffnen, steigen 159 Kinder und Jugendliche aus. Ein kleines Mädchen im Kindergartenalter drückt sein lila Einhorn an sich, ein Junge hält seinen Plüsch-Pandabären fest im Arm. Das jüngste Kind, das es als Kriegsflüchtling aus Kiew bis in den Breisgau geschafft hat, ist ein Jahr alt; das älteste 17. Manche tragen Rucksäcke, einige der Jugendlichen ziehen Rollkoffer hinter sicher her.

Begleitet werden sie von 30 Betreuerinnen und Betreuern. Zusammen mit Dolmetschern zeigen sie den Kindern den Weg. Zunächst werden alle Namen erfasst, dann müssen sie zum Corona-Test, schließlich geht es in die Wentzinger-Halle. Die Freiburger Feuerwehr ist vor Ort, das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser und Johanniter mit rund 110 Helferinnen und Helfern. Sie haben ihre Verpflegungseinheit aufgebaut, es gibt Nudeln mit Soße und warme Getränke. Zwei Kinderärzte und ein Psychologe stehen für die Kinder bereit. Diese wirken gefasst. "Wir erleben hier lauter kleine Helden", sagt Martin Roesen, der Stadtbeauftragte der Malteser.

Oberbürgermeister Martin Horn, selbst Vater von drei kleinen Kindern, muss sich die Tränen aus den Augen wischen, als Roman Korniiko, der Leiter des Kinderheimes "Vaterhaus", über die überstürzte Flucht aus Kiew berichtet. Als Donnerstag in der Frühe um 4 Uhr die Militärschläge begannen, sei man wie alle anderen überrascht und entsetzt gewesen, so der studierte Arzt. Das Heim in der Nähe von Kiew liegt zwischen drei Flughäfen, von denen zwei schon während der ersten Welle angegriffen worden sind.

Die Evangelische Stadtmission in Freiburg unterhält seit 30 Jahren Hilfsprojekte in der Ukraine, darunter das Kinderheim. Am Donnerstag gegen Mittag fiel die Entscheidung: Das "Vaterhaus" wird evakuiert. "Ihr wart die erste Stadt, die Hilfe angeboten hat", sagt Koniiko zu Horn. Die ersten Stunden des Krieges hätten die Kinder um zehn Jahre altern lassen. "Ihre Kindheit ist vorbei."

Alle packten auf die Schnelle das Allernötigste zusammen. In vier Bussen ging es Richtung polnische Grenze – die ersten 500 Kilometer nonstop, ohne Pause, so Korniiko. Die Furcht vor einem Angriff sei groß gewesen, und um Toilettenstopps zu vermeiden, hätten sie auf Essen und Trinken verzichtet. Die Polizei begleitete den Tross. Als man in vermeintlich sicherem Gebiet war, habe es Drohnenbeschuss gegeben. "Alle Kinder im Bus haben gebetet", erzählt Korniiko.

Ein 46 Jahre alter Vater, der mit an Bord war, musste wegen der Generalmobilmachung in der Ukraine unterwegs den Bus verlassen. Seine Frau blieb bei ihm. Ihr leibliches Kind und neun Pflegekinder fuhren ohne sie weiter. An der Grenze musste der Flüchtlingstross zehn Stunden lang warten. Dann durfte er nach Polen einreisen. In Dresden wurden die Busse gewechselt, "endlich gab es Verpflegung für alle", sagt Korniiko. Um 2.40 Uhr ging es dann in der Nacht auf Sonntag auf die letzte Etappe nach Freiburg.

Hier hatte sich am Freitag im Rathaus ein Krisenstab gebildet. Die Stadtverwaltung organisierte Unterkunft und Verpflegung für die jungen Flüchtlinge, berichtet der Erste Bürgermeister Ulrich von Kirchbach – ehe auch seine Stimme bricht.

"Wir sind dankbar für die Unterstützung der Stadt", sagt Katja Potzien, die Vorstandsvorsitzende der Stadtmission. Man habe eine große Zahl an Hilfsangeboten erhalten. "Im Moment helfen uns Geldspenden am meisten", sagt Potzien. Sie bittet um Verständnis: Was Sachspenden anbelangt, müsse man erst einmal genau klären, was gebraucht werde.

In Baden-Württemberg wird in den kommenden Tagen mit weiteren Geflüchteten gerechnet. Ukrainische Staatsbürger können für 90 Tage visumfrei nach Deutschland einreisen, Flüchtlinge sollen zunächst in den drei Erstaufnahmeeinrichtungen unterkommen.

Auch die Kinder aus Kiew werden vorerst in drei Flüchtlingsheimen untergebracht. "Das ist ein Tag der Mitmenschlichkeit in unmenschlichen Zeiten", sagt Horn. Immer wieder legt er seinen Arm um Roman Korniiko. Der Heimleiter wird in zwei oder drei Tagen wieder abreisen. Dann fährt er zurück in die Heimat – und in den Krieg: "Meine Familie ist dort und auch andere Menschen, die mich brauchen."
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